OVG NRW: Vorratsdatenspeicherung verstößt gegen Unionsrecht
OVG NRW: Vorratsdatenspeicherung verstößt gegen Unionsrecht
Das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW) hat am 22.06.2017 durch Beschluss entschieden:
Die im Dezember 2015 gesetzlich eingeführte und ab dem 1. Juli 2017 zu beachtende Pflicht für die Erbringer öffentlich zugänglicher Telekommunikationsdienste, die bei der Nutzung von Telefon- und Internetdiensten anfallenden Verkehrs- und Standortdaten ihrer Nutzer für eine begrenzte Zeit von 10 bzw. – im Fall von Standortdaten – 4 Wochen auf Vorrat zu speichern, damit sie im Bedarfsfall den zuständigen Behörden etwa zur Strafverfolgung zur Verfügung gestellt werden können, ist mit dem Recht der Europäischen Union nicht vereinbar.
Die Antragstellerin, ein IT-Unternehmen aus München, das u.a. Internetzugangsleistungen für Geschäftskunden in Deutschland und in anderen EU-Mitgliedstaaten erbringt, hatte sich mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung an das Verwaltungsgericht Köln gewandt, um der Verpflichtung zur Vorratsdatenspeicherung vorläufig bis zur Entscheidung über die gleichzeitig erhobene Klage nicht nachkommen zu müssen. Diesen Antrag hatte das Verwaltungsgericht abgelehnt. Der gegen diese Entscheidung erhobenen Beschwerde der Antragstellerin hat das Oberverwaltungsgericht nunmehr stattgegeben.
Zur Begründung hat der 13. Senat ausgeführt: Die Speicherpflicht sei in der Folge eines Urteils des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 21. Dezember 2016 – C-203/15 und C-698/15 – jedenfalls in ihren gegenwärtigen Ausgestaltung nicht mit Art. 15 Abs. 1 der Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation 2002/58/EG vom 12. Juli 2002 vereinbar. Die Speicherpflicht erfasse pauschal die Verkehrs- und Standortdaten nahezu alle Nutzer von Telefon- und Internetdiensten. Erforderlich seien aber nach Maßgabe des Gerichtshofs jedenfalls Regelungen, die den von der Speicherung betroffenen Personenkreis von vornherein auf Fälle beschränkten, bei denen ein zumindest mittelbarer Zusammenhang mit der durch das Gesetz bezweckten Verfolgung schwerer Straftaten bzw. der Abwehr schwerwiegender Gefahren für die öffentliche Sicherheit bestehe. Dies könne etwa durch personelle, zeitliche oder geographische Kriterien geschehen. Nach dem Urteil des Gerichtshofs könne die anlasslose Speicherung von Daten insbesondere nicht dadurch kompensiert werden, dass die Behörden nur zum Zweck der Verfolgung schwerer Straftaten bzw. der Abwehr schwerwiegender Gefahren Zugang zu den gespeicherten Daten erhielten und strenge Maßnahmen zum Schutz der gespeicherten Daten vor Missbrauch ergriffen würden.
Der Beschluss ist unanfechtbar.
(Quelle: Pressemitteilung des OVG des Landes Nordrhein-Westfalen zum Aktenzeichen: 13 B 238/17 (I. Instanz: VG Köln 9 L 1009/16) vom 22.06.2017)
Anmerkung:
Dieser Beschluss gilt direkt nur für das klagende Telekommunikationsunternehmen. Alle anderen Erbringer öffentlich zugänglicher Telekommunikationsdienste (Provider) müssen ab dem 01.07.2017 die bei der Nutzung von Telefon- und Internetdiensten anfallenden Verkehrs- und Standortdaten ihrer Nutzer für eine begrenzte Zeit auf Vorrat speichern. Das OVG NRW geht jedoch davon aus, dass diese Speicherungspflicht, die dazu dient, die Daten den zuständigen Behörden zur Strafverfolgung zur Verfügung stellen zu können, ist mit dem Recht der Europäischen Union nicht vereinbar.
Das TKG sieht vor, dass die Standortdaten 4 Wochen und die übrigen Daten gem. § 113b Abs. 2 und 3 TKG für 10 Wochen gespeichert werden müssen. § 100g StPO regelt die Inanspruchnahme der Vorratsdaten für die Strafverfolgung. Dort ist aufgeführt, welche Voraussetzungen für den Zugriff auf die Daten erfüllt sein müssen. Hier schließt sich die Frage an, inwieweit Strafverfolgungsmaßnahmen, die auf diese Vorschrift gestützt werden, rechtmäßig sind, wenn die gesamte Vorratsdatenspeicherung gegen Europäisches Gemeinschaftsrecht verstößt.
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